IN LIEBE, DIE LEERE

Alles begann mit dem Raum; einem riesigen freien Raum, der so viel Gutes versprach.

Ziemlich unvermittelt und großzügig wurde mir eine bestechend schöne, leer stehende und noch dazu zentral gelegene Fabriketage zur Ausstellung meiner Fotografien angeboten. Ich habe über die letzten 14 Fotografiejahre zwar einen recht abwechslungsreichen Fundus aufgebaut, doch zur Bespielung der freien 500 qm dachte ich, braucht es ein inhaltliches Dach und auch verschiedene ‚Disziplinen‘. Mit dem dann entwickelten Konzept (das ist mein berufliches Vorleben) ‚In Liebe, die Leere‘ sprach ich Künstler und einen Sammler an. Erstaunlicherweise sind nun alle Angefragten dabei; Absagen gab es keine. Wir stellen Werke von elf unterschiedlichen Künstlern aus, interdisziplinär und auch unterschiedlich bekannt und/oder renommiert. Wir verfolgten den Wunsch, das Thema der Leere (und der Langeweile als zeitliche Entsprechung) als unverrückbaren Ausgangspunkt zu betrachten: Ist es die Leere selbst, die uns in die so weit verbreitete Einsamkeit führt? Oder ist es vielmehr der unermüdliche Versuch, sie zu vertreiben, der als Folgeerscheinung unglücklich macht und nicht selten die Vereinsamung mit sich bringt?

Es ist die Einsamkeit, die sich in ausnahmslos alle Reihen unserer Gesellschaft setzt. Das Wuchern der Wortlosigkeit scheint sie ebenso wenig auf zu halten, wie die KI getriebene Fortpflanzung im digitalen Dickicht.
Neben meist unvermittelt auftretenden, dann heftig existierenden Lücken, die durch Wegzug, Streit oder Tod Löcher in den Alltagsteppich reißen, etabliert sich – heute mehr denn je – eine andere Art von Auslassung; es ist die, die im Miteinander mit sich selbst und mit anderen scheinbar plötzlich auftaucht oder aber sich leise an- und einschleicht, ausbreitet und auf vielfältige, bisweilen wundersame Weise zeigt.
Der Umgang mit diesen bedrückenden, bedrohlich nah heranrückenden Leerstellen, die in unsere Lebensrealität eingezogen sind, ist ungeübt. Unter Einsamkeit zu leiden ist schambehaftet; kaum jemand möchte sie haben oder gar zugeben, dass sie ihn befallen hat. Dass die Freundlosigkeit ihn heimgesucht hat; und seine Freunde dieses eben nicht mehr tun.

Die ungelenkte Zerstreuung findet – auch auf dem Beifahrersitz – keinen Platz mehr. Frei-Räumen, entstanden im Fahrwasser der Verspätungen anderer, wird das Zufällige genommen, die lernenden Applikationen optimieren das Dazwischen, die Filterblasen steuern den Zeitvertreib, die Überbrückung wird zur Hast. Das Feld der echten Begegnungen haben wir mehr und mehr verlassen, ungetrübt und ungeübt bleiben wir anderen fern.

Dieses Ohneeinander zeigt sich als ein sich selbst erhaltenes System, es scheint autark, mehr noch, es ist eines, das sich durch das stete Füllen von stiller Zeit beschleunigt. Ein Mitsichsein ist in manch einer Gesellschaft zu einem kaum mehr ertragbaren Zustand geworden.
So beschäftigt sich die Ausstellung mit der inhaltlichen und räumlichen Leere, mit der Langeweile als ihrer zeitlichen Entsprechung. Das Sichstellen, das Sichverbinden wird als Ausgangspunkt verstanden, es gilt, Distanzen gegen Freiräume zu tauschen, der schiere und scharfe Blick auf ihre Existenz ist geboten, ein Appell an ihre Bedeutung zugleich.
Die hier ausstellenden Künstler verbindet die Frage, ob es die Leere selbst ist, die uns in die Einsamkeit führt. Oder ist es vielmehr der unermüdliche Versuch, sie zu vertreiben, der als Folgeerscheinung unglücklich macht, und nicht selten die Vereinsamung mit sich bringt. Die Beteiligten betrachten die unterschiedlichen Dimensionen aus verschiedenen Winkeln. Das Verständnis über Bedeutung und Kraft eben dieses Zustands aber vereint sie; etwas, das nicht gefüllt ist – Zeiten, Köpfe oder Räume – reizt sie, es ist kein Ertragen, nicht selten jedoch ein Provozieren und ein verordnetes Ausharren. Aber kann man sich auf das Gute der Leere verlassen?
Die Ausstellung selbst, also die lose Bespielung großer Freiflächen, folgt dem Wunsch, Zwischenräume als freie Räume zu sehen, und diese mit sich und anderen einzunehmen. Es bleibt Platz für Temporäres, den Widerhall von Menschen Gesagtes, für Klänge und freiwillig Gehörtes.

AUSSTELLENDE KÜNSTLER
Felix Bachmann
Andreas Blank
Fritz Bornstück
Niklas Coskan
Gehard Demetz
Lennart Grau
Anne Grosse-Leege
Alicja Kwade
Constantin Schroeder
Tobias Vetter
Maria Zumi

KURATION
Felix Bachmann
Anne Grosse-Leege
Tobias Vetter

KONZEPT / TEXT
Anne Grosse-Leege

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